1- Meisters Liebling

Sie rannte immer mehr in die Dunkelheit. Ihre Schritte wurden von dem dichten Laub auf dem Boden gedämpft. Doch nicht genug, um uns abzuschütteln. Meinen Meister und mich. Wir lagen ihr auf der Lauer. Wir sind das Rascheln im Geäst hinter ihr und das Knirschen im Busch neben ihr. Überall um sie herum. Panisch zuckte ihr Blick von links nach rechts, oben und unten, doch sie sah uns nicht, denn wir sind die Jäger.

Es war ungemein aufregend zu sehen, wie sie stolperte und auf dem nassen Moos ausrutschte. Der Geruch der Jagd hing an ihr wie kein anderer. Meister war schon sehr lange nicht mehr auf der Jagd gewesen. Ich hatte mir schon Sorgen um ihn gemacht.  Ich glaubte fast schon, dass er sich selbst eine Hungerstrafe auferlegt hatte. Nicht, dass sein Geisteszustand in irgendeiner Form besorgniserregend gewesen wäre. Er war stets sein ruhiges Selbst, doch sein Essen roch in letzter  Zeit ganz anders als sonst. Der schleimige Fraß aus der Dose, den er mir Tag für Tag vorsetzte, war nicht mit der Beute zu vergleichen die wir uns sonst immer liebevoll teilten. Sie schrie in die Nacht hinein. Der Hall ihrer Stimme prallte an den Bäumen ab und trug sich immer mehr in den Wald hinein. Sie flehte um Hilfe. Ihre Augen weit aufgerissen, hektisch in allen Richtungen verteilt, als hoffte sie, dass wir uns zu erkennen geben würden. Aber wieso sollten wir das tun? Es ist doch so viel schöner zu sehen, wie sie direkt in unsere Arme lief. In unsere Falle.

Verängstigt kauerte sie sich hinter einen Busch. Versteckte sich, in der Hoffnung sie hätte uns abgehängt. Bedacht darauf nicht zu laut zu atmen. Das versuchten sie alle, nur um dann die mächtige Gestalt meines Meisters vor sich zu sehen, der sie zerquetschte wie ein Insekt.

Meister zog ihr das bunte Fell ab, welches sie den ganzen Abend getragen hatte. So kam er besser an ihr Fleisch, um seine Zähne und Krallen tief hinein schlagen zu können.

Er riss sie genauso wie die wilden Tiere, die er sich abends so gerne im Fernsehen ansah.

Ich kann ihn riechen. Wie er sich durch das feuchte Laub schlich, vorbei an den regenverhangenen Büschen. Lautlos. Unscheinbar. So wie ich es ihm beigebracht hatte.

 

Damals hatten wir viel Zeit in den Wäldern verbracht. Er beobachtete mich. Sah mir genau zu, wenn ich ein rascheln im Geäst anvisierte. Zuerst dachte ich, er wolle mich verspotten. Seine Glieder ahmten meine Bewegungen nach, während seine wachsamen Augen mir auf Schritt und Tritt folgten. Es war eine schöne Zeit gewesen. Kurz darauf, als wir wieder in die Stadt zurückgekehrt waren, hatte er begonnen selbst zu jagen. Und ich muss gestehen, dass aus dem Schüler ein Meister geworden war. Das Fleisch, das er uns erjagte, war so viel besser. Viel saftiger. Viel zarter.

Ich zerbrach mir den Kopf. Ich wusste nicht, was für ein Tier ich ihm erjagen könnte, um mich für seine Großzügigkeit bedanken zu können. Umso glücklicher war ich nun, meinem Meister zu helfen und gemeinsam mit ihm auf die Jagd zu gehen. Ich konnte das Fleisch schon schmecken, köstlich und saftig. Noch ehe es in meiner Schüssel lag.

Mir war klar, dass ich geduldig sein musste. Mein Meister liebte es, mit seiner Beute zu spielen. Ebenso wie ich es genoss, das kleine Getier von Loch zu Loch zu jagen. Den Gestank der Angst einzuatmen. Den süßen Duft der Hoffnung auf meiner Zunge zu schmecken. Doch alle Hoffnung war vergebens.

Ihr kreischender Schrei hallte durch die Dunkelheit und ließ mich zusammenzucken. Nun war er wohl doch ungeduldig geworden. Ich lauschte.

Mit einem kehligen Grollen hatte er sich auf sie gestürzt. Seine Zähne zerrten schon an ihrer bleichen Haut, durchbrachen den Schweiß und ließen das schimmernde Rot in das nasse Gras fließen. Meine Augen weiteten sich. Es war ein herrlicher Anblick, wie sie versuchte, seinen Körper mit aller Kraft von dem ihren zu drängen.

Seine Hüften, die sich immer wieder zwischen ihre Schenkel drängten. Die stoßenden Bewegungen, die immer schneller wurden je mehr sich die Beute wehrte. Mir war nie ganz klar, wieso er das tat. Doch konnte ich seine wachsende Freude riechen. Dieser herbe Geruch. Den gab er auch jedes Mal von sich, wenn er Schokolade aß. Eine Erfahrung, die ich gerne einmal machen würde. Dies gehörte allerdings zu den Dingen, die er mir verweigerte.

Es endete schneller als ich dachte. Ihre Schreie erstickten in einem gurgelnden Weinen, als sie sich seiner Stärke ergab. Da hatten andere mehr um ihr Leben gekämpft. Schlaff lag sie unter ihm, starrte in den dunklen Himmel. Als wäre sie nicht da. Doch sie war da. Ich muss zugeben, dass Neid mein ständiger Begleiter war. Dieses Gefühl, das mich immer heimsuchte, wenn ich meinem Meister beim jagen zusah. Blutige Bissspuren, die ich zu gerne abgeleckt hätte, denen ich mich aber nicht nähern durfte, solange er noch dabei war, die Beute zu erlegen.

Wäre ich nur so groß wie er, könnten wir die Kreaturen gemeinsam erlegen. Doch ich war so viel kleiner. Leicht abzuschütteln. Er hat es mir oft genug gesagt. Nicht, dass er mich deswegen schlechter behandelte. Es war eher so, dass er mein Beschützer war. Und unter seinem Schutz hatte ich es warm. Hatte ich zu fressen. Hatte ich stundenlange Streicheleinheiten. Gespräche, die weit über das, was ich von der Straße kannte, hinaus gingen.

 

 

Die Stille kam zurück in die Dunkelheit des Waldes. Ihr leerer Blick starrte mich an. Hatte sie mich gesehen?

Hatte sie meine Freude gesehen? Meine Aufregung auf frisches Futter? Hatte sie erkannt, dass ich es war, der ihm all das beibrachte? War sie beeindruckt gewesen, in den letzten Momenten ihrer verachtenswerten Existenz?

 

“Saturn.“

Ich horchte auf. Seine Stimme war rau und leise. Ein tiefes Grollen in der Dunkelheit, die nichts durchbrechen konnte, außer meinen wachsamen Augen.

“Komm her.” sagte er und richtete sich auf. Ich kam aus meinem Unterschlupf und schlich in Richtung meines Meisters. Seine dunklen Augen fixierten mich. Ein stolzes Lächeln machte sich in seinem Gesicht breit, schwarz vom Blut, das bereits sein eigenes dichtes Fell auf der Brust getränkt hatte.) Er roch herrlich nach Zufriedenheit und Freude. Wieder einmal hatte er uns Nahrung erlegt. Und wieder einmal teilte er es mit mir.

 

Seine blutige Hand wartete auf mich, bereit meinen Kopf zu streicheln und mich in die Arme zu schließen. Das tat er jedes Mal, nachdem er seinen ersten Hunger an der Beute gestillt hatte. Es war unser Ritual.

“Diese wird uns einige Tage reichen,” sagte er, ehe er mich hochhob und auf die Stirn küsste.

Zu schade, dass er meine Sprache nicht verstand. Zu schade, dass mein Maunzen ihm nichts bedeutete, auch wenn es ihn lächeln ließ.

 

So gut es ging drängte ich mich gegen seine feuchte Brust. Ich wollte sie kosten. In dem metallenen Geruch baden. Wie gerne würde ich ihren noch warmen Körper schmecken. Doch er ließ es nicht zu. “Nein, Saturn. Du musst warten. Erst muss ich sie zum Auto schaffen. Du kannst mir später beim portionieren zusehen,” sagte er und sein Ton ließ keine Wiederworte zu.

Es wird eine lange Nacht werden. Das wusste ich schon. Und auch wenn ich enttäuscht war, dass er mich nicht probieren ließ, so wusste ich, dass meine Belohnung für Gehorsam umso größer ausfallen würde.

“ Geh zurück zum Auto. Ich komme gleich nach,” sagte er und setzte mich auf dem Boden ab.

Abwartend sah er mich an. Ich wollte ihn nicht allein lassen. Ich wollte sehen, was er als Nächstes tat. Er ignorierte mein nachdrückliches Maunzen und zog eine Augenbraue hoch. Das tat er jedes Mal, wenn er kurz davor war, mich zu bestrafen. Strafe kam mit Ungehorsam. Ein schmerzhafter Biss ins Ohr oder ein Schnipsen gegen die Nase. Das kannte ich schon. Einmal verbog er meinen Schwanz. Tagelang hatte ich Schwierigkeiten beim Laufen. Jedoch gab es bei Gehorsamkeit eine Belohnung. Und diese wollte ich unbedingt, komme was wolle.

 

Mit hängendem Kopf trottete ich durch den Wald Richtung Auto. Vorbei an den Büschen, an denen noch ihr Geruch klebte.

Ich hüpfte über ein Beet aus Moos, das matschig zwischen Laub und Geäst am Boden lag. Hier war sie eben noch ausgerutscht. Sie hatte sich sicher etwas gebrochen, als sie versuchte, ihren Fall mit den Vorderpfoten abzufangen. Als sei sie eine Katze. Was für eine dumme Kreatur.

Das genüssliche Stöhnen meines Meisters beim Anblick ihrer fallenden Gestalt.

Der schmerzhafte Schrei der Beute als ich ihre Knochen knacken hörte.

Wie ich es liebte, die individuellen Reaktionen der Beute zu beobachten. Ihre Angst zu riechen.

Ihre Panik zu schmecken. Wie der süßeste Honig hing der schwere Duft in der Luft. Und jede Beute hatte ihre eigene Note. Ihren eigenen, individuellen Geschmack, der sich doch oft glich.

 

“Saturn,” knurrte mein Meister hinter mir. Er hatte sich den leblosen Körper über die Schulter geworfen und folgte mir fast lautlos.

Ich wandte mich ihm zu und sah ihn erwartungsvoll an. Da beugte er sich schon hinab, ließ die Hand unter meinen Bauch gleiten und hob mich an, um mich gegen seine Brust zu drücken. “So ein braver Kater.”

Seine Worte erfüllten mich mit solch einer Freude, dass ich mich gerade noch beherrschen konnte, meine Krallen nicht in sein dünnes Fell zu schlagen.

“Wir werden die nächsten Tage gut essen,” brummte er.

Die Hüfte der erlegten Beute war direkt neben mir und gierig beschnupperte ich die bleiche Haut.

 

Die Fahrt war ereignislos. Ich hatte mich auf den Körper gelegt, um sicherzustellen, dass er auch wirklich liegen blieb. Einmal war eines der Viecher wieder aufgewacht und hat wild geschrien. Das war vielleicht ein Zirkus. Mit einem Hammer hatte der Meister dann kurzen Prozess gemacht. Gut, dass er diesen immer griffbereit im Wagen hatte. Das Auto musste er dann verschwinden lassen. So hatte er es mir erzählt. Und es hatte ihn erzürnt, denn ein neues Gefährt zu finden war sehr schwer und teuer.

 

“Was hältst du von Leber heute Abend?”  fragte er mich und sah durch den Rückspiegel zu mir. Ich schnurrte zustimmend. Ein Geräusch, das er mochte. Es ließ ihn immer lächeln.

 

Zuhause angekommen trug er mich sofort in das Badezimmer. Ich hasste diesen Raum so sehr. Diese kalte Atmosphäre. All das Wasser und die Feuchtigkeit. Ganz im Gegenteil zu meinem Meister. Lange Zeit lag er im warmen Wasser und schien dies auch noch zu genießen. Er zerrte mich zu sich, drückte meinen Körper Unterwasser und schrubbte mein Fell frei von dem Blut unserer Beute. Ich versuchte nicht zu entfliehen. Ich wusste das es Konsequenzen haben würde und ließ es über mich ergehen. In Gedanken an die Streicheleinheiten, die nach dem Bad folgen würden. Ich liebte diese flauschigen Handtücher.

Mein Meister war immer gut zu mir. Und jede Grausamkeit hatte ihren Zweck. Und jedes erdulden selbiger brachte eine Belohnung mit sich. An diesem Abend war es ein großes Stück frische Leber.

 

Doch die Gemütlichkeit hatte ein Ende. Angst und Panik suchten mich heim. Dunkelheit umgab mich. Durch kleine Löscher im Karton sah ich, wie es Tag wurde. Wie es wieder Nacht wurde und dann wieder Tag. Gerade genug Luft zum Atmen. Ich hungerte und meine Zunge war schon ganz trocken. Der Geruch meines Urins hatte sich schon in meinem Fell verteil. Ich ekelte mich vor mir selbst. Was hatte ich getan, um diese Strafe zu erhalten?