2- Brüder

Ein grelles Licht blendete mich. Ein kühler Luftzug erreichte die Spitze meiner rauen und trockenen Nase. War es vorbei? Hatte ich die Strafe überstanden? Würde ich jetzt meine Belohnung erhalten? „So ein Scheiß.“ zischte mein Meister und rümpfte die Nase, „Alles vollgepisst“. Unsanft packte er mich am Nacken und zog mich aus der Box, in der ich die letzten Tage verbracht hatte. Er trug mich in ein Zimmer, das ich nicht kannte. Diese kalte Umgebung erinnerte mich stark an das Badezimmer von zuhause. Der fremde Geruch dieses Zimmers gefiel mir nicht. Meine Sorge wandelte sich in Angst und dann in Panik, als ich das dampfende Wasser sah. Ich wusste, dass ich dieses Mal nicht so schnell entkommen würde. Fliehen war zwecklos, meine Glieder wollten mir nicht mehr gehorchen. Das Wasser brannte und mein Fell sog die Flüssigkeit auf wie ein Schwamm.

 

Ich zitterte am ganzen Körper. Mein Meister rubbelte mich liebevoll trocken und legte mich auf eines der flauschigen Handtücher. Die Müdigkeit holte mich ein und ich viel in einen traumlosen Schlaf.

Ein Rütteln weckte mich unsanft. „Alles wird gut.“ Mein Meister kraulte mich an meiner Lieblingsstelle und schloss das Gitter der Transportbox.

Wieso war ich hier drin? Aufmerksam folgte ich ihm mit den Augen.

Er wirkte nervös. Unruhig lief er in dem Zimmer auf und ab. Was war das für ein Zimmer?

Es roch streng nach Schweiß, Farbe und noch etwas anderem, was ich nicht identifizieren konnte. Die Dielen knarrten jedes Mal, wenn mein Meister an mir vorbei ging.  Er telefonierte, schaute dabei immer wieder auf den Fernseher. Besorgt strich er sich über die Stirn und hinterließ weiße Farbe auf seiner geröteten Haut. Ich verstand nicht, was geschehen war. Ich zuckte zusammen. Eine Gänsehaut durchfuhr mich. Hinter mir war etwas Glitschiges. Etwas, in das ich soeben meinen Schwanz reingelegt hatte. Ich erblickte meinen Napf mit einem Inhalt, den ich nicht eindeutig identifizieren konnte. Ein beißender Geruch stieg mir in die Nase.  Angeekelt betrachtete ich dieses sogenannte Futter. Es sah aus, als läge es schon etwas länger dort. Hoffnungsvoll blickte ich zu meinem Meister. Dieser jedoch beachtete mich nicht. Er fixierte immer noch den flackernden Bildschirm an der Wand.

Voller Selbstmitleid leerte ich meinen Napf. Ich musste wieder zu Kräften kommen und wer weiß, wann ich wieder etwas bekommen würde. Mein Bauch tat weh, nicht wissend, ob es an dieser Pampe lag oder daran, dass ich seit Tagen ohne Essen auskommen musste. Ich hoffte nur, ich würde alles drin behalten können. Was war nur geschehen, während ich in dieser Box eingesperrt war? Alles, was ich mitbekam, war, dass diesmal alles ganz anders lief als gewohnt. Er hatte mich nicht mit in den Keller genommen. Dort wo er die Beute aufbewahrte. Normal durfte ich immer zusehen, wie er die einzelnen Teile verarbeitete und portionierte. Es war nicht selten, dass hier und dort mal was auf dem Boden viel. Auch mein versprochenes Stück Leber viel aus. Es war so unfair. Dabei hatte ich ihm gehorcht.

Kaum waren wir zuhause, klingelte sein Telefon, und wer auch immer am anderen Ende der Leitung war, hatte schlechte Neuigkeiten für ihn. Und für mich auch wie sich herausstellen sollte. Sobald das Gespräch beendet war, badete er mich und sperrte ich in diese dunkle Box, die ich für eine lange Zeit nicht verlassen werden würde.

 

Jetzt saß ich wieder im Käfig. Immerhin hatte ich dieses Mal die Möglichkeit, meine Umgebung im Auge zu behalten. Diese Wohnung schreckte mich ab.  Alles war fremd für mich. Ob ich noch die Möglichkeit bekommen würde, mich mit der neuen Umgebung vertraut machen zu dürfen? Meine Nerven lagen blank. Ich kuschelte mich auf den blauen Stoff, der [NM1] meinem Meister roch. Er hatte eines seiner getragenen T-Shirts zu mir in den Käfig gelegt. Ich schloss die Augen und der süßliche Duft meines Meisters beruhigte mich.

 

Wir hatten unsere alte Wohnung vor zwei Tagen verlassen. Ich weiß nicht warum, doch es muss etwas mit der Jagd im Wald zu tun haben.

Meister telefonierte sehr viel und seine Stimme wurde immer unruhiger, immer nervöser. Ich konnte nichts tun. Wie gern würde ich ihn jetzt mit meinem Schnurren beruhigen. So gern würde ich ihm jetzt zeigen, dass ich da bin und ich ihn liebhabe. Dieser Abstand zu ihm war schon fast das Schlimmste an dem Ganzen. Die Nähe, die er mir verweigerte. Mir war es egal, ob er mich trat, biss oder Nahrung verweigerte. Ich hatte jede Strafe verdient. Das hatte Meister mir schon früh beigebracht. Doch ihm nicht nahe sein zu dürfen, das war die Hölle.

Ein Tag verging, dann ein zweiter. Hier und da durfte ich meinen Käfig verlassen, um mich zu erleichtern. Ich verbrachte die meiste Zeit damit meinen Meister zu beobachten.

Es kümmerte mich nicht, dass ich eingesperrt war. Es war nicht das erste Mal und sicher auch nicht das letzte. Irgendwann, da war ich mir sicher, würde er wieder der Alte werden und mit mir auf der Couch kuscheln. Drei weitere Tage vergingen und dann war es endlich so weit.             

„Komm raus, Saturn.“ Er öffnete das Gitter der Transportbox und empfang mich mit einem Lächeln. „Wird Zeit unser neues Zuhause zu begrüßen.“ Der Weg ins Badezimmer, in dem ich mich erleichtern durfte, war mir nur allzu vertraut. Aber was verbarg sich hinter den anderen Türen? Aufgeregt rieb ich mich am Bein meines Meisters entlang. Ich biss ihm liebevoll in die Wade, um meine Dankbarkeit zu zeigen. „Ich bin jetzt kurz außer Haus, mach keine Dummheiten.“ Er kraulte mich am Ohr und ließ mich dann allein zurück. Nun konnte die Erkundung beginnen.

Die neue Wohnung war kleiner als die alte. Jedoch gefielen mir die deckenhohen Fenster. Meister hatte mir einen neuen Kratzbaum besorgt. Von diesem aus hatte ich perfekte Sicht auf die Straßen unter uns. Mir entging auch kein Vogel, der an meinem Fenster vorbeiflog. Ich hatte mich schnell an die neue Umgebung gewöhnt und lag bereits völlig entspannt in meinem Körbchen, als mein Meister wieder zur Tür reinkam. 

„Ich habe eben die schönste Frau der Welt kennengelernt!” begann er und lächelte sein breites und stolzes Lächeln. “Ich traf eben unsere neue Nachbarin. Eine wunderbare Person! So freundlich. So Hübsch!” Ich setzte mich auf und sah ihn an. Da war es wieder, dieses Feuer in seinen Augen. Dasselbe Feuer, das er jedes Mal versprühte, wenn er von einer Frau sprach, die er interessant fand. Doch etwas fehlte. Es war nicht, was er sagte, sondern wie er es sagte. Die Vorfreude und Erregung fehlten. Normal konnte ich den Geruch der bitteren Begierde fast schmecken, wenn er über seine nächste Beute sprach. War es dieses Mal etwas anderes? Was stimmte mit dieser Nachbarin nicht. Ich konnte mir nicht erklären, was es war.

“Sie hat ebenfalls Katzen. Zwei Kater, um genau zu sein. Ich bin mir sicher, dass ihr drei euch miteinander verstehen würdet,” sagte er und sah mir dabei eindringlich in die Augen. Das war eher ein Befehl als eine Einschätzung. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihn anzusehen. Wiederworte waren hier nicht angebracht. Ich gab keinen Laut von mir.

 

 

 

Cäsar und Pompeji saßen steif auf der Fensterbank und fixierten den Neuankömmling. Skeptisch musterten sie ihn von Kopf bis Fuß. Irgendetwas stimmte mit diesem Mann nicht. Vor knapp einer Woche sahen sie dabei zu, wie dieser Mann eine Kiste nach der anderen in die Wohnung von gegenüber trug. Durch das leicht geöffnete Fenster konnten sie es riechen. Ein Geruch der stark an totes Tier erinnerte. Was war wohl in dieser Box gewesen? Diese Frage beschäftigte die beiden noch eine ganze Weile. Aufmerksam beobachteten sie das Treiben in der Wohnung von gegenüber. Dies war so ziemlich das Spannendste, was in letzter Zeit passiert war. Wer war dieser Mann und warum roch er nach Tod? „Pompeji, schau da.“ Cäsar stupste seinen Bruder an und deutete auf das große Fenster von Gegenüber. „Ist das ein Kater?“ beide starrten sie durch das Fenster. “Mir gefällt das nicht,” sagte Cäsar und ließ seinen buschigen Schwanz nervös von einer Seite zur anderen wischen. Pompeji, runzelte die Stirn und ließ die Nase wackeln. “Hat er so gestunken?” Angewidert sah er zu, wie der fremde Kater sich zusammenrollte und auf dem Kratzbaum verweilte. Desinteressiert wanderte sein Blick auf das Geschehen der Straße unter ihnen. Da stand Mama. Er beäugte Sie, wie sie begann sich das lange rotblonde Haar um den Finger zu wickeln. Das tat sie immer, wenn sie sich mit Männern unterhielt. Beunruhigt presste Pompeji seine Nase an die kühle Fensterscheibe. „Mama ist bei ihm.“ Cäsar riss den Blick von dem Kater los und suchte auf der Straße nach Mama. Da stand sie. Beladen mit Taschen vom Einkauf und unterhielt sich mit diesem Kerl. „Was macht sie da?“ Besorgt folgten die beiden jede seiner Bewegung. Ihr schrilles und künstliches Lachen hallte durch die kleine Öffnung des Fensters. Dieses Lachen kannten sie nur zu gut. „Oh nein, ich schätze Mama macht es schon wieder“ Sie beobachten dieses Schauspiel noch einige Minuten weiter. „So albern führt sie sich nur in Gegenwart von Männchen auf.“ Cäsar verdrehte die Augen und begann sich zu putzen.

„Sie kommt hoch“. informierte Pompeji seinen Bruder. Cäsar sprang von der Fensterbank und lief in Richtung Flur. „Kommst du nicht mit, um Mama zu begrüßen?“ Cäsar blieb stehen und sah hinauf zu seinem Bruder. Doch dieser rührte sich nicht. Angespannt war sein Blick noch nach unten auf die Straße gerichtet. Der Mann stand noch dort und schaute ihm direkt in die Augen.